Kontrollierter Überblick in der Prozessindustrie

Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Branchen und Arbeitsverfahren ist es schlicht unmöglich, ein einheitliches Bild der IT in der Prozessindustrie zu zeichnen. Immer mehr Betriebe führen ihre kaufmännische Organisation und Produktionsplanungssysteme (PPS) auf Basis einer ERP-Software zusammen. Und dennoch gibt es mindestens ebenso viele Betriebe mit fragmentierten IT-Landschaften – die für Produktionssteuerung, Beschaffung, Rezepturverwaltung oder Logistik mehrere Anwendungen einsetzen.

Wegen der unterschiedlichen Ausgangssituation weichen die Anforderungen bei ERP-Projekten im Umfeld der Prozessindustrie mitunter stark voneinander ab. Ein Unternehmen, dessen über Jahrzehnte gewachsenen Individualanwendungen vereinheitlicht werden soll, setzt andere Prioritäten, als ein Betrieb, der eine veraltete ERP-Software lediglich auf den technisch neuesten Stand bringt. Während es bei einem vor allem die Konsolidierung im Fokus steht, geht es bei dem anderen vornehmlich darum, Prozesse und Planung weiter zu optimieren.

Die Tatsache, dass sich Prozessfertiger mit dem Softwarewechsel mitunter schwertun, ist vor allem vor dem Hintergrund komplexer Fertigungsprozesse und restriktiver behördlicher Vorschriften zu sehen. Allerdings ist der Handlungsdruck in den letzten Jahren stark gestiegen. Viele Prozessfertiger stehen unter einem enormen Preisdruck und sind gezwungen, Produktionsprozesse und Kapazitätsplanung permanent zu optimieren.

Doch in heterogenen Strukturen mit all ihren Systembrüchen ist schwer, in adäquater Geschwindigkeit auf Marktanforderungen zu reagieren oder rechtliche Auflagen kostenneutral umzusetzen. Dabei haben sich Bereiche wie PPS, Messtechnik oder Unternehmensanwendungen in den letzten Jahren stark aufeinander zu bewegt. „Uns war klar, dass langfristige Verbesserungen nur mit einer durchgängigen Abbildung der Geschäftsprozesse zu erreichen sind“, berichtet Karsten Seehafer, Geschäftsführer und Inhaber der Hanomag Lohnhärterei Unternehmensgruppe.

 

Compliance – Im Auftrag des Gesetzes

Speziell in der Pharma- und Kosmetikindustrie, mitunter aber auch bei Lebensmitteln, wird auf Basis behördlich genehmigter Rezepturen produziert. In diesem Fall gelten hohe Anforderungen an eine konstante Produktqualität. So ist es beispielsweise nicht zulässig, einzelne Ausgangstoffe zu ändern. Auch nicht, wenn ein Substitut in gleicher Qualität zu niedrigeren Kosten gefunden wird. Jeder noch so kleine Eingriff ist ein Fall für das Änderungs- und Genehmigungsmanagement. Aus den gleichen Gründen lässt sich die Produktion nicht ohne weiteres auf andere Maschinen oder gar an andere Standorte verlagern – nicht einmal bei technischen Störungen. Denn neben den Rezepturen unterliegt auch der Produktionsprozess der gesetzlichen Überwachung und ist entsprechend genehmigungspflichtig. Die Vorgaben aus Lebensmittelgesetzen, EU- oder Gefahrstoffverordnung sind daher auch softwareseitig abzubilden. Wie wichtig die Unterstützung der aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen für die betriebliche Effizienz sind, schildert Andrew Buckland, Finanzleiter des US-Pharmaunternehmens PURE Bioscience Inc. „Vor der Implementierung von Microsoft Dynamics AX wären wir nicht imstande gewesen, unsere internen Kontrollen effektiv vorzunehmen. Jetzt haben wir eine Infrastruktur, mit der wir sämtliche Richtlinien innerhalb unserer Prozesse erfüllen.“

 

Chargenverfolgung – Totalüberwachung der Rohstoffe

Bei Produkten, mit denen Menschen unmittelbar und nachhaltig in Berührung kommen, ist die Chargenverfolgung häufig Pflicht. Das betrifft beispielsweise Lebensmittel, aber auch Erzeugnisse der Chemie- und Pharmaindustrie. Mithilfe der Chargenverfolgung lässt sich nachvollziehen, wer eine bestimmte Rohstoffcharge geliefert hat, wann sie zu welchem Produkt verarbeitet wurde und wer sie erhalten hat. Ziel ist also maximale Transparenz vom Rohstoff bis zum Endprodukt. Voraussetzung hierfür ist, dass Bestände nach Chargen untergliedert, verwaltet und verfolgt werden. Das stellt hohe Anforderungen an die Dokumentation. Mit einem integrierten ERP-System, einheitlicher Datenhaltung und exakt aufeinander abgestimmten Prozessen lässt sich die Chargenverfolgung am einfachsten umsetzen.

 

Vertikale Lieferketten – Gemeinsam stark

Die meisten Prozessfertiger sind fest in vertikalen Lieferketten verankert – zum Beispiel als Auftragsfertiger für Kosmetik- oder Chemiekonzerne. Immer häufiger geben dabei auch Handelskonzerne den Ton an, die Produktionsaufträge für das stark wachsende Segment der Handelsmarken vergeben. Feste Kunden-Lieferanten-Beziehungen erhöhen zwar den Druck in auf Preise und Produktionsstandards, sorgen aber gleichzeitig für Kontinuität. Zudem haben Prozessfertiger die Chance, Kosten zu sparen, indem die gemeinsamen Prozesse mit den Partnern effizienter gestaltet werden. Voraussetzung für eine lückenlose Integration der Wertschöpfungskette ist ein modernes ERP-System, das gängige Standards beherrscht und sich vergleichsweise leicht vernetzen lässt.

Die Produktion steht zumeist im regen, bidirektionalen Datenaustausch mit anderen Unternehmensbereichen wie etwa Beschaffung, Logistik oder Vertrieb. Getauscht werden beispielsweise Informationen zur Bedarfsplanung oder Warenverfügbarkeit. Da erscheint es nur folgerichtig, die verschiedenen Aufgaben in einem integrierten Gesamtsystem zusammenzuführen. Schließlich entfallen dadurch nicht nur die aufwendige Schnittstellenpflege, sondern auch etwaige manuelle Eingriffe bei der Datenkonsolidierung. Da alle Unternehmensbereiche mit dem gleichen Stamm arbeiten, stehen relevante Informationen in Echtzeit zur Verfügung. Verbunden mit modernen Steuerungssystemen wie etwa Management Dashboards oder Key Performance Indikatoren, sind Prozessfertiger in der Lage, Unregelmäßigkeiten und Abweichungen bereichsübergreifend schneller zu erkennen. Davon profitieren Unternehmen wie PURE Bioscience. „Dank der vollständigen Integration in Dynamics AX haben wir heute einen umfassenden Einblick in alle Unternehmensbereiche“, bestätigt Andrew Buckland.

Gleichzeitig steigen mit der vertikalen Integration die Chancen für Produktivitätserhöhungen oder Kosteneinsparungen entlang der Prozesskette. Die einzelnen Abteilungen und Geschäftsbereiche rücken enger zusammen, was die Kommunikation vereinfacht und den Boden für eine weit reichende Prozessautomatisierung bereitet. So können beispielsweise relevante Planungsfaktoren der Produktion direkt aus der Auftragsbearbeitung übernommen werden, während in umgekehrter Richtung Rückmeldungen zu produzierten Mengen, Qualität und Auslastung fließen. Ein sicheres und gleichzeitig flexibles System. „Mit Dynamics AX ist es uns gelungen, eine Software zu implementieren, die unserem Anspruch nach höchster Flexibilität absolut gerecht wird. Das ist speziell in der Produktionsplanung Gold wert“, unterstreicht Ralf Hillebrand, Director Purchasing, Logistik & IT bei der ALANOD Aluminium-Veredelung GmbH & Co KG.

Zudem profitieren Prozessfertiger von einem weiteren positiven Nebeneffekt: der gewonnenen Transparenz. Da es nur einen „Datentopf“ gibt, bleiben einzelne Vorgänge nachvollziehbar. So genügen beispielsweise wenige Handgriffe um festzustellen, wann eine bestimmte Charge eingetroffen, verarbeitet und mit welcher Lieferung sie auf dem Markt gebracht wurde. Unterm Strich könnte man also sagen, dass ERP-Systeme der Prozessindustrie helfen, effizienter zu arbeiten, wettbewerbsfähig zu bleiben und eine höhere Wertschöpfung zu erreichen. „Die gewonnene Effizienz optimiert die Durchlaufzeiten. Jetzt können wir uns sehr viel schneller auf die Anforderungen unserer Kunden einstellen. Unsere Wettbewerbsfähigkeit hat sich dadurch eindeutig verbessert“, ist Bernd Horle, IT-Leiter der Hanomag Lohnhärterei, überzeugt.

 

Autor: Frank Naujoks, Microsoft